Freiburger Wintervorträge WS 20.21 07 Leonhard

  • 472 views

  • 0 favorites

Medienaktionen
  • hochgeladen 1. Dezember 2020

Prof. Dr. Jörn Leonhard (Historisches Seminar)
Die Gegenwart der Geschichte:
Die Pariser Friedensverträge 1919/20 und das 20. Jahrhundert

Als im Frühjahr 1919 aus aller Welt Diplomaten und Staatsmänner nach Paris kamen, um den größten Krieg zu beenden, den die Welt bis dahin gesehen hatte, und eine neue Friedensordnung zu errichten, lag eine ungeheure Aufgabe vor ihnen. Die Friedenskonferenzen von Paris 1919/20 konfrontierten die Zeitgenossen noch einmal mit den globalen Folgen eines industrialisierten Massenkriegs. Je länger er gedauert hatte, desto mehr hatte er alle direkt oder indirekt in den Krieg involvierten Gesellschaften weltweit verändert, und desto rasanter hatte er das überkommene Wissen vieler Politiker, Diplomaten, Militärs und Experten entwertet. Das machte die Beantwortung der Frage, wie man diesen Krieg beenden konnte, umso schwieriger und prägte die Phase ab 1917, als mit dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, der Oktoberrevolution der Bolschewiki und den Friedensprogrammen des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson und W. I. Lenins eine Binnenschwelle des Krieges erreicht war. Der Vortrag blickt vor diesem Hintergrund zum einen auf die Schwelle von 1919/20 und den komplexen Weg vom Krieg zum Nachkrieg. Ob im Blick auf untergehende Reiche und neue Staaten, ethnische Minderheiten, das neue Massenphänomen von Flucht und Vertreibung oder die Ansätze zu multilateraler Konfliktlösung im Völkerbund und den neuen Völkerbundmandaten im Nahen Osten, in Afrika und Asien: Aus dem Versprechen des Friedens und seiner Umsetzung an vielen Orten der Welt entstand ein schwieriges Erbe, das bis in unsere eigene Gegenwart reicht. Daher konzentriert sich der Vortrag zum anderen auf die besondere Gegenwart dieser Geschichte: Denn der Moment von 1919/20 bedeutete weit über die Friedensverträge von Versailles, St. Germain, Trianon, Sèvres und Lausanne hinaus eine Probe für das, was man bis in die Gegenwart als Grundproblem der modernen Politik verstehen kann – die doppelte Spannung zwischen Erwartung und Erfahrung und zwischen dem Sagbaren und dem Machbaren.

Tags:
Referent/in:

Prof. Dr. Jörn Leonhard (Historisches Seminar)