Paradigmenwechsel in der Philosophie? SoSe 2012

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Liest man die Texte von Philosophen einer vergangenen Epoche, etwa Platons oder Descartes', so stellt sich früher oder später unweigerlich die Frage, wie ich weiß, ob ich die Aussagen dieses Denkers verstehe? Diese Frage ist entscheidend, denn Sie wollen ja wissen, ob Ihre Deutung des Autors stimmt. Sie ist umso dringlicher, als im Laufe der Geschichte der Philosophie immer wieder Auffassungen vertreten wurden, die dem, was uns heute als selbstverständlich vorkommt, widersprechen. So werden Sie in Texten der klassischen Antike vergeblich nach einem Begriff des freien Willens suchen, wie ein solcher etwa von Locke, Kant oder Schelling herausgestellt und zur Grundlage unseres modernen Menschenbildes wurde. Dennoch sprechen Platon und Aristoteles an vielen Stellen von einem freien Willen. Aber was meinen diese Autoren, wenn sie diesen Begriff verwenden? Hier kann man nicht der eigenen Intuition folgen, sondern muss sich auf eine historische Semantik einlassen, die aufdeckt, was die Bedeutung dieses Begriffes nun tatsächlich war. Eine solche historische Semantik ist kein Ziel an sich. Sie spielt vielmehr die Rolle des befragenden Sokrates, des Zitterroggens, der seine Gesprächspartner immer wieder in Verlegenheit brachte, wie es im Menon heißt. Denn gerade die Auseinandersetzung mit Philosophen vergangener Epochen, die andere Selbstverständlichkeiten vertreten haben, zwingt den modernen Leser, seine eigenen Begriffe immer wieder neu zu überdenken. In der Vorlesung werde ich zeigen, dass zentrale Konzepte der Philosophie wie freier Wille, menschliche Person oder Substanz in den verschiedenen historischen Perioden vor dem Hintergrund ganz unterschiedlicher Ausgangspunkte gedeutet wurden, so dass man hier von rivalisierenden Paradigmen sprechen kann. Durch einen Vergleich der verschiedenen Inhalte dieser Begriffe werde ich die jeweiligen Überzeugungen, die hinter diesen Inhalten liegen, herausarbeiten und so die Grundlage legen für eine philosophische Auseinandersetzung über diese Begriffe mit den Teilnehmern der Vorlesung. Beginnen werde ich die Veranstaltung mit einer kurzen Analyse des Konzepts des Paradigmenwechsels und der Möglichkeiten und Grenzen seiner Anwendung auf die Philosophiegeschichte.

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